
Wie die Fossil-Lobby auch lokal gezielt Desinformation verbreitet – ein Bericht aus Tirol über eine Veranstaltung zum angeblichen „Verbrenner-Aus“.
Auch wenn es aktuell nicht danach aussieht, aber die Geschäftsmodelle der fossilen Branchen sterben. Das ist zwar gut so, aber es müsste schneller gehen, denn die menschgemachte Erderhitzung lässt uns keine Zeit für weiteres Verzögern. Und um diesen Sterbeprozess möglichst in die Länge zu ziehen und um damit noch möglichst viel Profite zulasten der Gesellschaft und künftiger Generationen zu machen, schrecken die Akteur:innen nicht davor zurück, die Öffentlichkeit zu täuschen und zu belügen. So geschehen auch bei einer Veranstaltung, bei der wir kürzlich in Tirol beiwohnten und die von der Tiroler Wirtschaftskammer ausgerichtet wurde, bei der auch unser Unternehmen Zwangsmitglied ist. Ein Bericht, wie eine toxische Branche die Öffentlichkeit täuscht – mit verehrenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft.
itel macht bereits einen problematischen Eindruck: „Verbrenner-Aus 2035 – Realität vs. Ideologie“. Und wie man erahnen kann, betrachten sich die Anhänger:innen der Verbrennungstechnik als in der Realität befindend und wer ihnen widerspricht muss ideologisch veranlagt sein. Wir werden sehen, dass eher das Gegenteil zutrifft. Aber der Reihe nach.
Schauen wir uns zunächst die Protagonisten der Veranstaltung an:
Beim Betrachten der Biografien der teilnehmenden Personen wird deutlich, dass hier die Verbrenner- und Fossil-Lobby gerne unter sich ist. Eine sachdienliche Erörterung mit anschließender Publikumsdiskussion wurde angekündigt. Die Besetzung des Panels als auch der Titel erweckt keinen sachlichen und ausgewogenen Eindruck. Doch wir wollten uns darauf einlassen und schauen, ob wir positiv überrascht werden. Spoiler: Wir wurden leider nicht überrascht.
In der Eröffnung der Veranstaltung wurde zunächst angepriesen, dass so viele Leute gekommen waren. Ich kann nicht sagen, mit wie viel Teilnehmenden die Veranstalter wirklich gerechnet hatten, aber man konnte feststellen, dass der Raum gut gefüllt war. Daraus wurde die Schlussfolgerung gezogen, dass dieses Thema sehr wichtig, auch sehr emotional sei und viele Menschen ansprechen würde. Dieser Eindruck ist vermutlich richtig.
In der Folge wurde mehrfach darauf abgehoben, wie wichtig bei so emotionalen Themen Fakten und solide Informationen seien. Und ich habe bei der zehnten Erwähnung des Wortes „Fakten“ aufgehört zu zählen, wie oft es noch vorkommen wird. Die Tatsache, dass jemand immer wieder betonen muss, dass es um Fakten ginge, war befremdlich.
Dieser Eröffnungsteil der Veranstaltung erinnerte mehr an eingeschworene Glaubensgemeinschaften als an einen Versuch einer seriösen Informationsvermittlung. Nach viel Eigenlob, dem obligatorischen Hinweis auf die so genannte „Technologieoffenheit“ und erstem Fakten-Bingo ging es dann los mit dem ersten Redebeitrag.
Auch die Fossil- und Verbrenner-Lobby wird, bis auf ein paar Ausnahmen, nicht mehr wagen, Elektroautos in Frage zu stellen. Während sie das vor nicht allzu langer Zeit noch versucht hat, ist auch in diesen Kreisen mittlerweile angekommen, dass Elektroautos nicht verschwinden werden. Fun fact, Herr Brasseur hat dies noch 2021 behauptet (1). Und dass es die E-Mobilität auch geben darf, dazu diente der erste Beitrag von Herrn Wach. Für Leute, die mit Elektromobilität bewandert sind, war in diesem Vortrag nichts Neues dabei.
Der Redebeitrag von Herrn Wach erwirkte den Eindruck einer Ausgewogenheit der Veranstaltung. Die Botschaft dahinter: „Seht her, die Elektromobilität kommt auch vor“. Ja, das tut sie, aber bitte nicht so viel davon. Herr Wach ließ nämlich auch nicht die Gelegenheit aus darauf hinzuweisen, wie gering der Anteil von Elektroautos bei den Neuzulassungen in Österreich ist. Er folgerte daraus, dass sich diese Technologie trotz großer Subventionen noch immer schwertut und daher nicht so gut sei, wie man glaubt.
Man muss das aber etwas einordnen. Gerade in Österreich und erst recht im autofixierten Nachbarland Deutschland haben diverse Lobbyverbände seit Jahren viel Mühe und Aufwand investiert, Menschen zu erzählen, dass Elektroautos nicht alltagstauglich und viel zu teuer seien. Das stimmt zwar schon lange nicht mehr, aber wenn man falsche Narrative nur lang genug verbreitet, sickern diese tief ins Bewusstsein einer Gesellschaft. Und diese Narrative wurden nicht nur von einschlägigen Lobbyverbänden wie z.B. dem VDA verbreitet, sondern auch durch Institutionen wie dem ADAC oder dem österreichischen Pendant ÖAMTC. Diese Institutionen erreichen viele Konsument:innen und diese genießen bei denen auch ein großes Vertrauen. Damit ist die Feststellung von Herrn Wach zwar richtig, aber er sagt nichts über die Ursachen für den Zustand.
Außerdem sagt er auch nicht, dass das international ganz anders aussieht. Im Schlüsselmarkt China wurden in den ersten neun Monaten 2023 4,2 Millionen BEVs neu zugelassen, 25 Prozent mehr als gegenüber dem Vorjahreszeitraum und es dominieren einheimische Hersteller (2). Auch Länder im Afrika wechseln zunehmend auf E-Mobilität und sind damit immer weniger auf die ausrangierten Verbrenner aus Europa angewiesen (3), was bei Verbrenner-Fans immer wieder als Scheinargument für E-Fuels verwendet wird.
Fazit: Die Inhalte des Beitrags von Herrn Wach waren weitestgehend richtig. Er ordnet seine Schlussfolgerungen jedoch nicht korrekt ein und bezieht diese ausschließlich auf den sehr kleinen und international bedeutungslosen Markt in Österreich und Deutschland.
Der Beitrag von Herrn Brasseur war der Kern der Veranstaltung und wurde für alle, die sich mit Themen rund um Klimakrise, ihre Ursachen sowie der Energiewende auskennen, zur Nagelprobe. Die schiere Menge an „Fakten“ – also aus dem Kontext gerissene und/oder zugunsten von fossilen Energieträgern interpretierte Aussagen – ließ sich nur schwer ertragen, wenn man mit den Themen bewandert ist. Man kam mit dem Mitschreiben all der üblichen und schon oft gehörten Falschaussagen kaum mit. Gerade hatte man einen Punkt notiert, hat er währenddessen zwei weitere Aussagen rausgehauen, so dass sein Beitrag das gesamte Repertoire der oft propagierten Desinformationen der Fossil-Lobby beinhaltete.
Das ist nur ein Auszug einer Vielzahl von ähnlichen Vorgehensweisen im Beitrag von Herrn Brasseur. Die Aussagen waren so ausgelegt zu zeigen, dass erneuerbare Energien hierzulande keine Option seien, weil sich Europa nie autark mit Energie versorgen könne. Doch das ist im Kern falsch und es wurde bereits mehrfach nachgewiesen (6). Auch die Internationale Energieagentur (IEA) stellte im letzten World Energy Outlook 2023 fest, dass alle Technologien für die Energiewende verfügbar seien. Es gibt keinen Grund mehr, an fossilen Energiequellen und dem Verbrenner festzuhalten (7). Dass Herr Brasseur das nicht weiß, erscheint unwahrscheinlich.
In den Medienwissenschaften ist der oben genannte Begriff „Flooding the zone with shit“ mittlerweile gängig. Dieser wurde ursprünglich vom Berater des Ex-US-Präsident Donald Trump Steve Bannon geprägt. Was bedeutet er? Überflute die Menschen mit allem möglichen Unsinn und Aussagen, die in der Wahrnehmung von nicht informierten Menschen dennoch eventuell wahr sein könnten. Das führt zu einer Verschiebung der öffentlichen Meinung (8). Damit können noch so schädliche Technologien, wie beispielsweise das Verbrennen fossiler Energie, länger bestehen bleiben.
Damit war der Abend noch nicht zu Ende. Ohne die oben genannten Kunstgriffe ging es nicht um die ineffizienten Verwendung im längst technisch überholten Verbrennungsprozess gut aussehen zu lassen und damit E-Fuels zu propagieren. Verwunderlich wurde es, als Herr Brasseur dem bei E-Fuels-Fans typischen Widerspruch verfiel, dass einerseits zu wenig regenerative Energie beklagt wird, man aber dann trotzdem eine Antriebsform favorisiert, die mindestens 5x mehr Energie braucht als ein batterieelektrischer Antrieb.
Aber auch dafür glaubt Herr Brasseur eine Lösung zu haben: Weil E-Fuels elektrische Energie brauchen und Europa diese nicht in ausreichender Menge erzeugen könne, müsse man einfach die synthetische Flüssigkeit in Ländern mit mehr solarer Exposition und viel Windenergie herstellen, mit CO2 aus neuen Pipelines versetzen und dann nach Europa importieren. Und das geht natürlich nur mit E-Fuels, denn diese kann man transportieren, elektrischen Strom oder Wasserstoff dagegen nicht. Das klingt in der Welt der pinken Einhörner sehr schön, aber die Sache hat gleich mehrere Haken.
Alles in allem klingen diese Argumente in der Fan-Community für E-Fuels super. Aber realistisch ist es eben nicht. Es würde, falls es überhaupt gelänge, einige Jahrzehnte dauern, bis die ganze Infrastruktur steht. Wenn man wie Herr Brasseur auf der einen Seite fehlende erneuerbare Energiekapazitäten und die Probleme beim Netzausbau beklagt, dann aber von Pipelines für CO2 und E-Fuels und riesigen Erzeugungsanlagen in Afrika in zehn bis zwanzig Jahren redet, wirkt das skurril. In der Zeit kann man die bisher fehlende Infrastruktur für die Energiewende und Elektrifizierung der Antriebe in Mitteleuropa mehrfach ausbauen und es kostet weit wenige
Herr Roth steht als Vorsitzender des österreichischen Ablegers eines Lobbyverbands für eine ganze Branche des Treibstoff- und Heizölhandels, die sich bedroht fühlt. In der „E-Fuels Allience“ sind unter anderem sämtliche fossilen Energieerzeuger und Tankstellenbetreiber organisiert, um die Verlängerung ihrer toxischen Geschäftsmodelle zu Lasten von uns, unseren Kindern und Enkeln zu betreiben. Und in diesem Teil des Abends sprang endgültig die Werbetrommel für E-Fuels an. Es wurden die üblichen Nebelgranaten und Falschinformationen verbreitet. Eine Analyse:
Herr Roth versprach Menschen etwas, was es nicht für die Straßenanwendung geben wird. E-Fuels und die Verbrennung allgemein sind und bleiben riesige Effizienzkiller. Damit fallen sie für eine klimafreundliche Art des Antriebes aus. Außerdem bleiben weitere Nachteile von Verbrennungsmotoren in Form von Emissionen anderer Giftstoffe oder Lärm bestehen. Zudem sind Verbrenner nicht fähig beim Ausrolle
Laut Agenda sollte die Veranstaltung bis 20 Uhr dauern. Gegen 19:30 Uhr waren die Redebeiträge durch. Die verbliebe Zeit wurde jedoch nicht vollständig für Beiträge aus dem Publikum genutzt, lediglich drei Teilnehmer kamen zu Wort. Diese Teilnehmer haben aber keine neugierigen Fragen gestellt, wie es sich die Veranstalter gewünscht hätten (O-Ton Moderator im anschließenden persönlichen Gespräch). Die Sprecher wiesen auf die oben genannten Fehler hin. Es ist daher anzunehmen, dass die Publikumsrunde daher bewusst verkürzt wurde, um nicht unnötig kritische Rückmeldungen zu ertragen.
Nach der Veranstaltung habe ich selbstverständlich versucht, mit den Protagonisten direkt in ein Gespräch zu kommen. Was diese aber unter einem scheinbaren Vorwand abbrachen. Auch hier merkt man ein häufiges Phänomen, dass die Verfecht:inner der veralteten Technologien sehr dünnhäutig sind und mit Gegenrede nicht umgehen können. Um es mit Harald Depta zu beschreiben: „Sie möchten in ihren Realitätsferien nicht gestört werden.“
Bevor ich aber zum Fazit komme, möchte ich noch auf den in der Verbrenner-Fan-Szene oft beschworenen Begriffen der „Technologieoffenheit“ eingehen. Neuerdings wird in diesem Zusammenhang auch gerne von „Technologieneutralität“ gesprochen. Diese Begriffe wurden natürlich auch in dieser Veranstaltung mehrfach verwendet. Sie suggerieren, dass man sich alle Optionen für die Zukunft offen lassen müsse. Doch genau das Gegenteil passiert, wenn man so agiert, wie die Verbrenner-Fans. Die Physik des Verbrennungsprozesses, die wir seit vielen Jahrzehnten sehr gut verstanden haben, wird sich auch in 10 bis 20 Jahren nicht ändern. Der Verbrennungsprozess ist ein Übergang eines Energiezustands in einen anderen. Diese Übergänge sind und bleiben Effizienzvernichter. In Fällen, in denen es ohne diese Energieübergänge schlicht nicht geht, wie zum Beispiel in Teilen der Industrie, wird man mit diesem Malus leben müssen.
Es gibt aber keinen einzigen Grund etwas in einer Art und Weise zu machen, die einer längst ausgereiften und verfügbaren Technik in allen Belangen unterlegen ist. Schon heute können bodengebundenen Antriebe elektrische Energie direkt im Antriebsstrang nutzen. Es ist daher absolut abwegig, wenn man stattdessen ein Vielfaches der Energie vergeudet, um einen Stoff zu erzeugen, den man dann mit weiterer Verschwendung in Bewegung umwandelt.
Das Festhalten an Altem gegen jede Evidenz führt am Ende zur Konservierung einer nicht mehr konkurrenzfähigen Lösung. Damit werden neue Möglichkeiten nicht genutzt und man verharrt im Alten. Damit ist diese Form der Technologieoffenheit am Ende eine Innovationsfeindlichkeit.
An dieser Stelle sei noch angemerkt, dass schon der Titel der Veranstaltung „Verbrenner-Aus“ einen inhaltlichen Fehler enthält. Es gibt auf EU-Ebene keine Initiative, die Verbrenner verbieten will, sondern nur die Neuzulassung von Antrieben, die Treibhausgase emittieren und dafür gibt es gute Gründe. Damit ist auch die ständig widerholte Behauptung falsch, man hätte sich einseitig auf die Elektromobilität festgelegt. Eine technische Lösung wird von der Gesetzgebung gar nicht vorgegeben. Sollte irgendjemand eine wettbewerbsfähige Lösung entwickeln, die durch Verbrennung einen Antrieb erzeugt und bei dem keine Treibhausgase emittiert werden, ist das auch künftig eine Option. Damit ist die EU-Gesetzesinitiative genau das, was Technologieoffenheit sein sollte. Die Fans der Verbrennungstechnik und Verfechter von E-Fuels haben sich dagegen festgelegt. Sie wollen das Alte um jeden Preis bewahren und schränken damit den technologischen Weg extrem ein.
Dies war eine Veranstaltung, die unter dem Deckmantel einer Aufklärung und faktenbasierten Diskussion das Gegenteil davon erzeugt. Es war letztlich eine Desinformationskampagne der Fossil-Lobby. Diese Formate erscheinen vordergründig seriös und für Menschen, die sich mit der Materie nicht auskennen, wirkt alles sehr konsistent und überzeugend. Gerade Beiträge von emeritierten Professoren machen Eindruck. Damit glauben Menschen diese Aussagen und werden zu falschen Handlungen bewegt. Falsch interpretierte Fakten, Framing, Flooding the zone with shit oder das Weglassen von unbequemen Tatsachen verfangen.
Die Folgen: Weitere Emissionen und enorme Kosten, welche zwar die Betroffenen aber letztlich auch die ganze Gesellschaft wird bezahlen müssen.
Für die Wirtschaft werden zudem falsche Signale gesetzt. Erweckt man den Anschein, dass man nichts ändern muss, weil pinke Einhörner einem die Veränderung scheinbar abnehmen, werden dringend notwendige Veränderungen sabotiert. Während man selbst die Entwicklung verpasst, haben sich aber andere auf den Weg gemacht und sind voraus. Die Folgen sind Verluste an Wettbewerbsfähigkeit und an Wohlstand. Die deutsche Autoindustrie ist dafür ein Paradebeispiel. Zu lange wurden die offensichtlichen Veränderungen ignoriert bzw. dagegen lobbyiert. Als Folge davon spielen die deutschen Hersteller international nur noch eine untergeordnete Rolle.
Ich möchte daher dringend an alle appellieren, sich genau anzuschauen, wer die Leute sind, die solche Veranstaltungen ausrichten. Lassen Sie sich dabei nicht von akademischen Titeln und schönen Zahlen blenden. Die Natur verhandelt nicht und keine Technologie der Welt wird die Regeln der Physik verändern und uns vor notwendigen Verhaltensänderungen bewahren.
Bei Fragen oder Kommentaren zu diesem Thema schicken Sie uns einfach eine Nachricht.
Herzliche Grüße
Mario Buchinger
#RestartThinking
Veränderung. Denken. Können.
Der Autor:
Dr. Mario Buchinger
Transformationsexperte, Physiker, Autor, Musiker
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