
Am 19. März 2025 verurteilte ein Geschworenengericht in Morton County, North Dakota, Greenpeace USA zu einer Zahlung von mindestens 660 Millionen Dollar an das Energieunternehmen Energy Transfer. Worum geht es genau und warum ist dieser Präzedenzfall so gefährlich? Erfahren Sie auch was Sie konkret gegen die Ungerechtigkeit von sogenannten SLAPP-Klagen tun und gleichzeitig unseren Lebensraum sichern können.
Es ging darum, dass Greenpeace in den Jahren 2016 und 2017 indigene Gruppen beim Protest gegen die Dakota Access Pipeline unterstützt hat. Beispielsweise hat Greenpeace Workshops gegeben und in Pressemitteilungen und Aussendungen auf die Gefahren durch die Pipeline aufmerksam gemacht (1).
Energy Transfer ist ein börsennotierter US-Konzern, der groß im Transport von Öl und Gas tätig ist (2). Der Konzern wirft Greenpeace vor, dass die NGO den Protest angestiftet habe und für einen Schaden in Höhe von 300 Millionen Dollar verantwortlich sei, den er angeblich erlitten hat (3).
Wie die gemeinnützige Menschenrechts- und Umweltorganisation Earthrights International berichtet (3) waren bereits die Vorbereitung des Prozesses und der Prozess selbst von Unregelmäßigkeiten durchsetzt. Dazu gehören unter anderem eine Spende von Energy Transfer in der Höhe von 3 Millionen Dollar an die Stadt Mandan, in der der Prozess stattfand. Mit dem Scheck soll eine öffentliche Bibliothek und ein Platz im Stadtzentrum finanziert werden. Die Spende erfolgte drei Monate nach Einreichung der Klage. Zudem wurde eine unternehmensfreundliche Publikation im Vorfeld des Prozesses an potenzielle Geschworene verteilt.
In der Jury hatten sieben von elf Mitgliedern Verbindungen zur fossilen Brennstoffindustrie, fünf äußerten sich offen negativ über die Proteste, und mindestens zwei hatten Ehepartner, die an der Pipeline arbeiteten. Greenpeace beantragte wiederholt einen Wechsel des Verhandlungsortes, um eine unparteiische Jury zu gewährleisten. Diese Anträge wurden vom Richter des Prozessgerichts und vom Obersten Gerichtshof von North Dakota abgelehnt.
Diese Unregelmäßigkeiten, die auf eine Verletzung des Rechts von Greenpeace auf ein faires Verfahren hinauslaufen könnten, haben mit ziemlicher Sicherheit zu dem Urteil beigetragen und könnten die Grundlage für eine Berufung bilden.
Es gibt bereits auch in vielen amerikanischen Bundesstaaten Gesetze, die die missbräuchliche Verwendung von solchen Rechtsmitteln mehr oder weniger gut unterbinden. Leider hat North Dakota kein solches Gesetz. Dort gibt es mittlerweile sogar Strafzahlungen von bis zu 100.000 Euro für Proteste nahe kritischer Infrastruktur.
Die Anti-SLAPP-Richtlinie der EU wurde im März 2024 verabschiedet und muss bis 2026 in nationales Recht übersetzt werden. Sie schützt Personen und Organisationen besser bei offensichtlich unbegründeten Klagen oder missbräuchlichen Gerichtsverfahren in Zivilsachen (4).
Das Urteil wirft eine grundsätzliche Frage auf:
Wie kann der Schutz von Umwelt und Allgemeingütern gegenüber wirtschaftlichen Interessen sichergestellt werden?
Die Wirtschaft ist Teil der Gesellschaft, auch wenn die Vertreter:innen des Neoliberalismus das nicht so gerne hören. Unternehmen und ihre Manager:innen und Mitarbeiter:innen haben eine Verantwortung, die weit über den Shareholder Value hinausgehen. Denn es kann nicht sein, das beispielsweise folgende Probleme durch Unternehmen verursacht, aber von uns allen – Ihnen und mir – getragen werden:
Allgemeingüter, wie beispielsweise gesunde Luft oder gesundes Wasser, sind keine Rechtsträger und haben keine Rechtsvertretung. Wiederum haben alle Menschen „das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet“ (Artikel 25 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, 5).
Aber dieses Recht ist schwer durchzusetzen. Im Rahmen von Umweltschäden gibt es in vielen Ländern die Möglichkeit die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen. Dies ist allerdings aufwändig und der Schaden muss sehr genau zugeordnet werden können. Beispielsweise wenn ein Unternehmen durch ein Leck im Produktionsprozess einen Fluss verschmutzt. Bei Schäden durch Treibhausgase sind die Emittenten derzeit fein raus.
Dass der viel zu hohe Treibhausgasausstoß ein Problem ist, wissen wir und die Verantwortlichen in der Öl- und Gasindustrie seit Jahrzehnten. Das Unternehmen Exxon wusste schon zu Beginn der 1980iger Jahre sehr gut Bescheid, da es sogar Forschung rund um den THG-Ausstoß in Auftrag gegeben hatte (6).
Doch anstatt entgegenzusteuern, was einer Auflösung des Unternehmens und anderer Player von BigOil gleichgekommen wäre, wurde in verschiedene Strategien investiert. Diese reichen vom Negieren des Klimawandels oder dessen Auswirkungen über das Sabotieren von erneuerbaren Energien bis hin zur politischen Einflussnahme, wie man derzeit sehr gut in den USA sehen kann. Aber auch hierzulande ist man fleißig am Werk, denn wir in Österreich leisten uns pro Jahr etwa 5 Milliarden Euro an klimaschädlichen Subventionen – in Deutschland sind es etwa 65 Milliarden – pro Jahr (!). Jedes Mal, wenn darüber medial nachgedacht wird, diese Förderungen zu streichen, werden sofort Heerscharen an Lobbyist:innen laut. Über die Wirkweisen der Öl- und Gasbranche schreibt der deutsche Wissenschaftler und Spiegel-Kolumnist Christian Stöcker in seinem Buch „Männer, die die Welt verbrennen“ sehr aufschlussreich.
Wenn man sich die Zahlen ansieht, dann verwundert einen die Vehemenz der Öl- und Gaslobby kaum: Die Unternehmen der fossilen Branchen und damit deren Manager:innen nehmen die Schädigung unseres Lebensraums billigend in Kauf und machen damit seit 1970 Jahren jeden Tag (!) 3 Milliarden US-Dollar Gewinn (7). Tag für Tag auf unsere Kosten. Denn die Folgeschäde durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen werden von den fossilen Akteuren nicht bezahlt. Diese Kosten werden Sie und ich, unsere Kinder und Enkel bezahlen.
Wenn Ihnen Ihr Nachbar jeden Tag seinen Müll vor die Tür stellen würde, würden Sie auch nicht ruhig zusehen. Warum machen wir das bei Treibhausgasen? Wahrscheinlich weil sie nicht so ganz leicht sichtbar sind und die Veränderung zu groß erscheint. Das wollen uns die Vertreter:innen des Gestern zumindest glauben lassen. Aber das täuscht, wir haben längst einen Vielzahl an Möglichkeiten um fossile Energieträger und damit den Ausstoß von Treibhausgasen massiv zu reduzieren.
Einzelne Staaten haben bereits neben Schutzzonen auch die Rechte für Gebiete oder einzelne Naturteilen geschaffen. Beispielsweise hat Ecuoador die Rechte der Natur in die Verfassung aufgenommen (8). Der größte Nationalpark Neuseelands Te Urewera wurde 2014 zu einer juristischen Person, mit allen Rechten, Befugnissen, Pflichten und Verbindlichkeiten (9). Natürliche Entitäten haben bereits die Rechtspersönlichkeit erhalten. Beispielsweise der Fluss Vilcabamba in Ecuador, der Fluss Atrato in Kolumbien und der Ganges und die Gletscher in Indien (8).
Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, denn die Physik warten nicht darauf ob wir die planetaren Grenzen (10) berücksichtigen oder nicht.
Über viele der Maßnahmen haben wir bereits in den letzten Jahren im #RestartThinking Blog geschrieben: Die Möglichkeiten sind vielfältig und reichen von der Reduktion von Energie, dem Einsatz von erneuerbare Energie, dem Umstieg auf öffentlichen Verkehr und E-Mobilität, dem Teilen von Energie über den Umstieg auf klimaneutrale Wärmesysteme bis hin zur Förderung lokaler Landwirtschaft, lokale Lieferketten und Kreislaufwirtschaft.
Aber es gibt in Bezug auf die SLAPP-Klage von Energy Transfer gegen Greenpeace noch konkrete Maßnahmen, wo Sie mit kleinem Aufwand einen wichtigen Beitrag leisten können:
Der Fall von Energy Transfer gegen Greenpeace USA ist schockierend, denn er zeigt, wie erbittert fossile Industrien gegen die nötige Veränderung vorgehen. Eines ist aber tröstlich: Die Physik verhandelt nicht. Jedes installierte PV-Modul, jede Wärmepumpe, jedes E-Auto, alle Maßnahmen zur Energieeffizienz und vor allem die entsprechenden Verhaltensänderungen reduzieren die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern.
Wie sehen Sie dieses Vorgehen gegen Greenpeace? Was kommt Ihnen in den Sinn? Ich freue mich auf Ihre Nachrichten.
#RestartThinking
Veränderung. Denken. Können.
Herzliche Grüße
Marlene Buchinger
Die Autorin:
Marlene Buchinger, MSc.
Expertin für Klimatransformation und Nachhaltigkeit, Projektentwicklerin und Problemlöserin
Wir von RestartThinking sind spezialisiert auf Strategie-, Prozess- und Klimatransformation. Mit mehr als 15 Jahren internationaler Erfahrung im Bereich Erneuerbare Energie und Projektmanagement stehe ich Ihnen als Sparringpartnerin zur Verfügung und entwickle nachhaltige und effiziente Prozesse.