RestartThinking StrategischeKrisen erkennen

Die strategische Krise erkennen

Die Kanarienvögel des Wohlstands

Über Jahrhunderte wurden Kanarienvögel in Käfigen in Bergbauminen mitgenommen, um ein Frühwarnsystem zu haben. Sobald die Vögel aufhören zu zwitschern, ist Gefahr im Verzug. Die Lungen von Vögeln sind anders aufgebaut als die der Menschen und reagieren frühzeitiger auf eine erhöhte Konzentration giftiger Gase. Besonders Kohlenmonoxyd ist ein gefährliches Gas, weil es geruchlos ist und schon geringe Konzentrationen gefährlich sein können.

Strategische Krisen - ein Frühwarnsystem für Unternehmen

Ein solches Frühwarnsystem vor wirtschaftlichen Krisen gibt es auch. Nur leider sind die Signale nicht so klar hörbar wie das Zwitschern von Kanarienvögeln. Man kann diese Veränderung auch nur dann wahrnehmen, wenn man in der Lage ist, sich und das eigene Handeln stetig zu hinterfragen. Die strategischen Krise ist das Frühwarnsystem für Unternehmen.

Früh erkannt, Gefahr meist gebannt

Strategische Krisen tauchen immer wieder auf.

Strategische Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass sich im Marktgeschehen Dinge entwickeln, die teilweise oder ganz im Gegensatz zum eigenen Geschäftsmodell stehen.

Solche Entwicklungen kommen nicht über Nacht und sind folglich auch nicht unmittelbar gefährlich. Ignoriert man sie aber, werden sie zur existenziellen Gefahr.

Aus einer zunächst harmlosen strategischen Krise wird die monetäre Krise, wo die ersten Zahlungsprobleme auftauchen, und daraus entwickelt sich oft die existenzielle Krise, die nur wenige Unternehmen überleben. Ist man aber in der Lage, die strategische Krise wahrzunehmen, steigt die Wahrscheinlichkeit, gar nicht erst in Richtung einer monetären Krise zu kommen.

RestartThinking Strategische Krisen

Erfolg - Fluch und Segen

Das größte Problem, um strategische Krisen rechtzeitig zu erkennen, ist der eigene Erfolg. Denn wenn Unternehmen in eine strategische Krise geraten, wird diese sehr oft übersehen, weil das Geschäft meist hervorragend läuft. In Zeiten großen Geschäftserfolgs werden Leute, die etwaige Probleme aufzeigen, als Miesmacher und Nörgler empfunden. Nur wenige haben Lust, in Zeiten guter Geschäfte über mögliche Bedrohungen nachzudenken.

Noch dazu empfindet man es als kontraproduktiv, womöglich etwas zu verändern, was im Hier und Jetzt richtig gut läuft. Doch genau dann schnappt die Falle zu. Es kann also in manchen Organisationen sein, dass es besagte Kanarienvögel gibt, die laut zwitschern und dann plötzlich verstummen. Aber das Verstummen wird im Rausch des Erfolgs ignoriert.

Die exogene Veränderung kommt immer näher und selbst dann noch wird diese nicht als ein Problem gesehen, weil Menschen zu einem Confirmation-Bias tendieren, wonach man das, was man kennt, als bestätigend empfindet. Aber es nützt nichts, die Veränderung schlägt dann doch gnadenlos zu und die strategische Krise wird zur monetären und womöglich danach zur existentiellen Krise.

Beispiele für Unternehmenskrisen in der Vergangenheit

Nokia:

Das Mobilfunkunternehmen aus Finnland hat die Möglichkeiten des Smartphones, das im Gegensatz zur Tastatur über ein großes Touch-Screen bedient wird, völlig ignoriert. Doch die Signale waren eindeutig. Apple brachte schon Anfang der 2000er Jahre einen iPod-Touch auf dem Markt, der nichts anderes war als ein Prototyp für die nächste technologische Generation von Mobilgeräten. Statt das Problem zu erkennen, setzen die Entscheider:innen bei mobilen Anwendungen lieber auf alt bewährte Lösungen wie die Tastatur. Diese wurde miniaturisiert und es entstand ein Ziegelstein-artiges Gerät namens Communicator. Das war ein Flopp und war nur für kurze Zeit ein Statussymbol für Manager, mehr nicht.

Kodak:

Das Fotografieunternehmen aus den USA war selbst maßgeblich an der Entwicklung der digitalen Fotografie beteiligt. Aber man glaubte nicht an die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben. Es dominierte die Überzeugung, dass die Qualität eines konventionellen, chemischen Films nie mit einem CCD-Chip erreicht werden könne. Anfangs war das tatsächlich so, denn die ersten höher auflösenden CCD-Platten hatten das Format eines DIN-A4 Blatts und wurden mit Stickstoff gekühlt. Aber in wenigen Jahren änderte sich das und Kodak war abgehängt.

Die Schweizer Uhrenindustrie:

Der Quarz-Antrieb ist eine Erfindung aus der Schweiz. Die Erfinder:innen erachteten den Mehrwert als gering und zeigten die Innovation Ende der 1960er Jahre auf einer Fachmesse in einer Nische. Dort wurden japanische Unternehmen darauf aufmerksam. Sie hatten leichtes Spiel, denn die Schweizer fanden ihre eigene Erfindung so unbedeutend, dass sie diese nicht mal patentierten ließen. Die Folge: Die Marktführerschaft der Schweiz ging an Japan verloren, weil man davon überzeugt war, dass der mechanische Antrieb, mit dem man führend war, das Maß der Dinge ist und bleibt. Für die Kund:innen waren aber die höhere Genauigkeit als bei mechanischen Uhrenwerken wichtig. Vor allem war die Praktikabilität im Alltag ausschlaggebend auf den Quarz-Antrieb zu wechseln. Statt die Uhr regelmäßig zu bewegen oder aufzuziehen, musste nur mehr die Batterie alle 2-3 Jahre getauscht werden.

Beispiele für strategische Krisen aus der Gegenwart

Leider haben wir anscheinend aus den vielen prominenten Fehlern nicht viel gelernt. Denn genau heute im Hier und Jetzt werden die Fehler wiederholt. Die deutsche Autoindustrie hätte das Verstummen der Kanarienvögel bereits Mitte der 2010er Jahre hören können. Viele Leute (ich eingeschlossen) haben davor gewarnt, dass das Festhalten am ineffizienten und dreckigen Verbrennungsantrieb zum Problem werden würde. Ein Antrieb, der einfacher zu bauen ist und dabei viel effizienter und günstiger ist, würde sich durchsetzen. Und genau so kam es.

Nachdem Tesla Anfang der 2010er Jahre anfing, den Markt umzukrempeln, haben chinesische OEMs die Führung im Automobilsektor weltweit übernommen. Die großen Spieler im Markt sind eben keine klassischen Autohersteller mehr. Sie kommen aus der IT-Entwicklung oder Batteriebranche.

Sie nutzen ihr Wissen und bauen ein IT-Front-End, das zwei, drei oder vier Räder hat und wo man sich drauf oder rein setzen kann. Die deutschen Autohersteller haben zwar auch angefangen zu elektrifizieren, aber das reicht nicht. Es sind halt noch immer Autos mit etwas IT und eben kein IT-System, das nur aussieht, wie ein Auto.

Das Kleben an alten Erfolgen

Die deutsche Autoindustrie und ihre Helfer:innen aus der Politik waren (und sind teilweise noch immer) sehr laut darin, die Elektromobilität als nicht alltagstauglich und als „links-grün“ oder „woke“ zu titulieren. Mit rollenden Ölheizungen werden alte, von der Fossil-Lobby geschickt vermarktete, Emotionen verknüpft.

Aktuell fordern viele Leute den Ausstieg aus dem so genannten „Verbrenner-Aus“, das es gar nicht gibt. Aber man möchte krampfhaft weiter klimaschädliche Emissionen verbreiten und einige glauben, so die Branche zu retten. Doch der Markt hat sich längst entschieden und diese Entscheidungen werden in Fernost getroffen. Damit wird die Autobranche in Deutschland aber auch in Europa zum nächsten Nokia oder Kodak.

Der ehemalige Verkehrsminister in Deutschland Volker Wissing hat mal gesagt:

„Deutschland baut die besten Verbrenner der Welt“.

Da hat er völlig Recht. Aber Deutschland hat auch mal die besten Röhrenfernseher der Welt gebaut. Nur wen interessiert das heute noch?

Nicht nur die Automobilbranche ist in Veränderung

Die strategische Krise in der Autoindustrie ist leider nicht das einzige Problem. Deutschland war bei erneuerbaren Energie, wie Solar und Wind, sowie den Grundlagen der Batterieentwicklung vor 15 Jahren weltweit führend. Das deutsche EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) war eine Erfolgsgeschichte und hat neue, innovative, saubere und auch von Diktaturen unabhängige Energieversorgung möglich gemacht.

Doch einflussreiche Konzerne aus der alten, fossilen, Welt passte das nicht. Sie sorgten mit ihren Helfer:innen in der Politik dafür, dass diese Weltmarktführerschaft zerstört wurde. Diese Vorreiterschaft befindet sich seitdem in China.

Und heute im Jahr 2025 geht die Demontage des Wirtschaftsstandort weiter. Während weltweit über 92% der neu installierten Energieerzeugungssystme regenerativ sind und seit 2018 mehr in regenerative Energien investiert wird als in fossile, will die Wirtschaftsministerin in Deutschland, die selbst aus der Gas-Lobby kommt, Gaskraftwerke groß ausbauen und bremst die erneuerbaren Energie weiter ab.

Die Fehler der Vergangenheit und der Gegenwart scheinen sich auch da zu wiederholen.

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Weitere Informationen

Fazit

Die strategische Krise bleibt oft unsichtbar, weil man sie nicht sehen will. Zu verlockend sind kurzfristige, alte Profite. So wird derzeit unsere Wirtschaft ausgerechnet durch jene zum Industriemuseum gemacht, die von sich selbst immer gerne behaupten über Wirtschaftskompetenz zu verfügen. Nur leider ist das die Wirtschaftskompetenz des Gestern und das Festhalten daran sorgt dafür, dass strategische Krisen unsichtbar bleiben.

Doch es gibt auch gute Beispiele: Das dänische Unternehmen „Danish Oil and Natural Gas Company“ (DONG) hat vor einigen Jahren trotz großer Gewinne eine Transformation durchlaufen und ist heute Marktführer für Offshore-Windparks. Das spiegelt sich auch im Nahmen wieder, denn es heißt seit 2017 Ørsted, benannt nach dem dänischen Physiker Hans Christian Ørsted, nach dem die Einheit für die magnetischen Feldstärke benannt ist.

Es lohnt daher, inne zu halten und auf die Kanarienvögel des Wohlstands zu lauschen.

Der Autor:

Dr. Mario Buchinger

Transformationsexperte, Physiker, Autor, Musiker

Wir von RestartThinking sind spezialisiert auf Strategie-, Prozess- und Klimatransformation. Mit mehr als 20 Jahren internationaler Erfahrung im Bereich Prozessverbesserung, Strategieentwicklung und Umsetzung bringen wir gemeinsam mit Mitarbeitenden und Führungskräften die Organisation nach vorne und machen sie fit für die Zukunft.